"Geht net, gibt's net"

Wie Jakobs Freude am Leben Worte bekam

Als Jakob am 28. Jänner 2004 als unser zweites Kind zur Welt kam, schien unser Familienglück perfekt zu sein. Das erste ¾ Jahr verlief gänzlich unauffällig doch dann beobachteten wir aufgrund seines ungewöhnlichen Krabbelmusters und wie er zu greifen begann, eine andere Entwicklung wie wir sie von seiner um 2 Jahre ältere Schwester Miriam kannten. Im nachhinein betrachtet, glaube ich, wollten wir die Auffälligkeiten noch gar nicht bewusst wahrnehmen. Doch als ein gleichaltriges Mädchen mit 14 Monaten nur noch mit einem Finger gehalten sehr sicher an der Hand ihres Vaters daher marschierte und bei Jakob an so ein Gangbild noch gar nicht zu denken war, läuteten bei mir die Alarmglocken.

Bangen und Hoffen und eine Diagnose, die Vieles veränderte

Zugleich begann eine sehr schwere Zeit der Selbstvorwürfe, des Wartens, Hoffens, und nach einer MR, als Jakob 22 Monate alt war, die klare Botschaft: unser geliebtes Kind hat durch eine Kleinhirnwurmhypoplasie eine Behinderung, die die gesamte Motorik betrifft und die es sein Leben lang immer begleiten wird. Damals war uns noch nicht klar, wie sehr sich seine Behinderung auch auf die Sprachentwicklung auswirken würde. Sehr bald stellte sich heraus, dass Jakob ein sehr gutes Sprachverständnis hat und sein passiver Wortschatz sehr groß ist, doch sein aktiver Wortschatz blieb sehr klein. Er konnte ein paar Laute geben und Mama und Papa sagen. Dies bedeutete für Jakob oft großen Frust, wenn er uns etwas sagen wollte und er einfach nicht konnte. Ich stellte ihm in dieser Zeit Fragen, auf die er mit ja oder nein antworten konnte und begann alles zu erklären und zu beschreiben, von dem ich annahm, es wäre für ihn interessant, um das 1.Fragealter nicht ganz ausfallen zu lassen. Im Alter von 2 Jahren begannen wir mit Physiotherapie und mit 2 ½ Jahren noch mit Ergotherapie und Logopädie. Leider hatten wir bei der Wahl der ersten Logopädin kein sehr großes Glück und Jakob verweigerte nach ein paar Monaten komplett.

Jakobs Tagebuch: ein wichtiger Schritt in der Kommunikation für ihn

Die 2. Logopädin ging sehr gut auf Jakob ein und wir setzten erstmals Gebärden ein und verwendetenBoardmakersymbole, doch Jakob wickelte die Logopädin um den Finger und vermied jede Anstrengung, was auch zu einem sehr mäßigen Fortschritt führte. Mit 3 ½ Jahren wurde Jakob in den örtlichen Kindergarten in einer Integrationsgruppe aufgenommen, die er mit seiner Schwester Miriam besuchte. Diese kam ein Jahr später in die Schule. Somit bekam der Informationsfluss zwischen Kindergarten und Elternhaus Lücken und wir wussten zu Hause nicht mehr gut Bescheid, was im Kindergarten los war und umgekehrt. Zuvor hatte Miriam als Sprachrohr und Informantin fungiert. Da legte ich im Herbst 2009 ein Tagebuch für Jakob an, welches täglich in den Kindergarten und nach Hause mitgenommen wurde. Jeden Abend und darauf bin ich ein wenig Stolz, klebte ich ein Foto in Kleinstformat in das Tagebuch, von dem der Eintrag handelte und schrieb dazu ein paar Zeilen. Im Kindergarten schrieb die Stützkraft ebenfalls jeden Tag ein und zeichnete dazu ein Bild, sodass Jakob sich anhand der Fotos und Zeichnungen auch später erinnern konnte. In kurzer Zeit wurde das Tagebuch sehr wichtig für Jakob, denn durch die Bilder konnte er Erlebtes auch später noch einmal besprechen.

Laternenlied in Gebärdensprache: Alle reden wie Jakob

Somit war eine gute Kommunikationsquelle für Jakob und ein sehr guter Informationsaustausch zwischen Kindergarten und zu Hause geschaffen. Die Pädagoginnen im Kindergarten haben mit viel Engagement und Einfühlungsvermögen eine sehr harmonische Gruppenatmosphäre geschaffen, in der Jakob ohne Sprache auch zu Wort kommen konnte. Einer der berührenden Momente war, als beim Martinsfest 60 Kinder ein Laternenlied sangen und dazu gebärdeten. Wäre es nicht so toll gewesen, hätte ich wahrscheinlich geweint, doch vor Faszination, alle Kinder reden wie Jakob, konnte ich nur beglückt zuschauen und mich für Jakob freuen. Jakob selber war auch so davon überrascht, dass er nur dasaß und den Kindern zusah. Die Gebärden sind eine tolle Möglichkeit der Kommunikation, denn die Hände hat man immer bei sich, doch gab es im Umfeld nur eine sehr begrenzte Gruppe von Personen, die die Gebärden erkennen. Ich stellte für die nächste Umgebung, in den Jakob häufig ist (Großeltern, nahe Verwandte, Freunde, Kindergarten, später Schule) kleine Mappen mit den Gebärden zusammen, die Jakob verwendet. Doch wer nicht ständig mit Gebärden spricht, verlernt sehr schnell wieder. Da Jakobs Gebärdensprache oft nicht ganz deutlich ist, da seine Fingermotorik nicht allzu gut ausgeprägt ist, bedarf es einiger Übung um seine Gebärden alle richtig zu verstehen.

Die Gebärden werden erweitert: Jakob kann kleine Geschichten erzählen

Durch eine Mutter, eines ebenfalls sprachfreien Kindes (Nico), bekamen wir Kontakt zu unserer jetzigen Logopädin Christina Wöckinger, die im Diakoniewerk Gallneukirchen arbeitet. Als Jakob 5 ½ Jahre alt war hatten wir das erste Mal Kontakt mit Christina. Ich musste einen Tag lang Protokoll führen: Wie, Wann und in Welcher Form Jakob mit Wem und Warum kommuniziert und wo Lücken sind, wo die Kommunikation Unterstützung braucht. Dies war Teil einer Ausbildung von Christina, aber sehr hilfreich für mich auf Schwächen aufmerksam zu werden und für Christina einen guten Einblick in die Formen der Kommunikation von Jakob zu bekommen. In den folgenden Therapiestunden erarbeiteten sie gleich einige Gebärden, die Jakob zwar schnell wieder erkannte, aber nur zögerlich einsetzte. Ich besorgte mir den oberösterreichischen Gebärdenführer, so dass wir auch zu Hause unseren Gebärdenwortschatz laufend erweitern konnten. Dazu legten wir eine Mappe mit den Kölner Kommunikationstafeln an. Hiermit konnte Jakob schon bald ganz gut erste Gefühle und Bedürfnisse ausdrücken und kleine Geschichten erzählen. Etwas später kam der GoTalk in Verwendung. Plötzlich erweiterte sich das Spektrum der Kommunikationsmöglichkeiten. Jakob lernte zu reimen, konnte Jausensprüche aufsagen, beim Spiel aktiv mitreden und Witze erzählen. Die 5 Speicherebenen des GoTalk waren Jakob bald zu wenig und es zeichnete sich ab, dass bald ein komplexeres Gerät nötig sein würde.

Mit Unterstützung ist es 2010 endlich soweit: Jakob bekommt seinen SmallTalker

So kamen wir im Herbst 2009 zum ersten Mal in Kontakt mit der LIFEtool Beratungsstelle in Linz, wo uns unterschiedliche Kommunikationscomputer vorgestellt wurden. Da Jakob und Nico von derselben Logopädin betreut werden und gemeinsam zur Schule gehen werden, achteten wir darauf, dass die Beiden, nach Abklärung welches Gerät von der Komplexität der Bedienung für sie in Frage kommen würde, das gleiche Gerät bekamen. Trotz einer raschen Zusage auf finanzielle Unterstützung durch den Verbund Soforthilfefonds war bei öffentlichen Stellen eine scheinbar nicht enden wollenden Liste von Anträgen, Bestätigungen und Rechtfertigungen über Grund und Nutzen der Anschaffung des SmallTalkers notwendig, bevor Jakob schließlich seinen froschgrünen SmallTalker bekam. Jakob hat auf dem Touchscreen einen Fingerraster, damit er die Tasten gezielt drücken kann und verwendet das Anwendungsprogramm Quasselkiste 60.

Mit dem „Latein am Ende“? Kein Problem: LIFEtool steht mit Rat und Tat zur Seite

Ich konnte mit PC's und dergleichen immer nur das notwendigste arbeiten und daher war ich schon sehr gespannt, wie es mir mit dem neuen Gerät und der Software dazu ergehen würde. Trotz der Einschulung bei LIFEtool hatte ich das Gefühl das System des Talkers nie zu durchschauen. Doch durch die tägliche Kommunikation über den Talker mit Jakob und der ständigen Aktualisierung des Inhaltes für Jakob ist mir das System schnell vertraut worden und erscheint mir sehr logisch. Bin ich einmal am Ende mit meinem Latein, so finde ich immer Hilfe und Unterstützung bei LIFEtool in Linz und Prentke-Romich in Deutschland. In den ersten Tagen war das Experimentieren an erster Stelle und Jakob hatte große Freude an den zufälligen Wörtern und Aussagen, die dabei entstanden. Schon bald hatte er sich einige Ikonensequenzen gemerkt mit denen er Lieblingswörter von ihm finden konnte. Dass wir auf einem Bauernhof leben und Jakob mit Leib und Seele bei allen Arbeiten mit dem Traktor dabei ist, speicherte ich ihm im Laufe der Zeit sämtliche landwirtschaftliche Geräte und Fahrzeuge und so konnte sich Jakob mittels Einwortsatz rasch über mögliche Arbeiten erkundigen.

Mit den Zaubertasten sagt Jakob: „Ich hab dich lieb“

In den ersten 6 Monaten verbrachte ich unzählige Stunden damit den Talker für Jakob mit seinen ganz persönlichen Wörtern, Namen zu adaptieren (sämtliche Familienmitglieder, wichtige Bekannte, Kindergartenkinder, Pädagoginnen, Therapeuten, Freunde, Lieblingsessen, Getränke, Spiele,..). Die Nächte waren oft recht kurz, doch die Freude Jakobs, über die neuen Wörter am nächsten Morgen waren Lohn genug. Wenn Jakob jetzt ein wichtiges Wort fehlt, so drückt er schon auf die Toolbox um mir zu zeigen – hier fehlt was. Sehr schnell benutzte er auch die Zauberertasten, die gleich einen ganzen Satz sagen: „Bitte erzähl mir eine Geschichte“ oder „Ich hab dich lieb“.

Jakob hatte die Gebärde für die Frage: „Warum“ schon oft gesehen, doch nie verwendet. Doch nach ein paar Geschichten, die abrupt endeten und der Frage: „Warum“ am Talker fortgesetzt wurden, waren Anlass und Motivation für ihn auch die Gebärde zu verwenden. Seither fragt Jakob unzählige Male am Tag „Warum“ und holt so wenigstens teilweise das Fragealter nach. Wir hatten seither schon sehr viele lustige und interessante Erlebnisse mit dem Talker. So sagte Jakob dem Zahnarzt gleich nach der Begrüßung mehrmals: „Ich will das nicht“ und dieser gar nicht wusste, wie er darauf reagieren sollte. Bei einer Geburtstagsfeier eines Kindergartenfreundes, als der ältere, schon recht coole Bruder zu Jakob sagte: „He, du musst ja auch gratulieren!“ und Jakob daraufhin: „Alles Gute zum Geburtstag!“ sagte und den Bruder den Wind aus den Segeln nahm.

Ein Smalltalker ist kein Spielzeug und seine Verwendung braucht Regeln

Als Jakob den Talker bekam, war nicht nur bei ihm die Begeisterung, doch musste sein Umfeld (vor allem seine Schwester) lernen- der Talker ist kein Spielzeug und gehört Jakob alleine. Auch waren verschiedene Verhaltensregeln nötig, die den Talker betrafen. Bei Tisch muss der Talker mit angenehmer Lautstärke sprechen. Der Talker darf Jakob nie weggenommen werden, denn er ist seine Sprache. Seit Herbst 2010 besucht Jakob die erste Klasse im sonderpädagogischen Zentrum in Unterweißenbach gemeinsam mit 5 anderen behinderten Kindern, wobei Jakob und Nico einen Talker verwenden. Beim täglichen Erzählkreis hat Jakob eine Ikonensequenzenfolge auf einem Zettel mit (den ich ihm am Vorabend unter Absprache über den Inhalt ausdrucke), durch die er Wichtiges von zu Hause oder Erlebtes erzählen kann. Durch die Veränderungen vom Kindergarten zur Schule waren wieder viele Veränderungen auf dem Talker notwendig Bsp.: Mitschüler, Lehrer, Räume, Stundenplan,... Ich speicherte Jakob auch eine neue Seite ein, mit der er durch wenige Ikonen für ihn wichtige Fragen in der Schule stellen konnte: Wo ist das Klo? Wann ist die Schule aus? Darf ich Miriam besuchen? .... Diese Seite haben wir jetzt für zu Hause erweitert und er fragt fast jeden Tag Was machen wir heute?

„Laufen ärgern“: so drückt Jakob seinen Ärger über seine Behinderung aus

In den letzten Wochen merke ich immer mehr, dass Jakob neben den Hauptwörtern immer mehr Verben und Adjektive verwendet. So sagte er vor kurzem: „Laufen ärgern“. Er konnte damit erstmals seinen Ärger über seine Behinderung deutlich machen und jeder verstand es. Seit Jakob den Talker als zusätzliches Kommunikationsmittel benutzt, haben wir die Kluft zwischen seinem aktiven und passiven Wortschatz ein Stück weiter schließen können. In dieser kurzen Zeit hat Jakob uns schon mehr mitteilen können, als in den vergangenen 6 Jahren zusammen. Er kann uns viele Wünsche mitteilen, z.B. was er zu Essen oder Trinken haben möchte. Er kann im Gasthaus sei Kracherl bestellen. Er kann uns sagen seine Lieblingslieder vorspielen, er kann uns die Lieder, die die Kinder in der Schule singen „vorsingen“ und singt immer mehr selber mit und beginnt auch jetzt bei Liedern im Radio, die ihm gefallen, auf seine Weise mitzusingen. Der Talker unterstützt und motiviert Jakob mit seiner eigenen Stimme zu sprechen. Er kann sich nach einem Streit auch mal bei seiner Schwester entschuldigen. Im Laufe der Zeit soll Jakob lernen alles sagen zu können, was er sagen möchte. Mir ist klar, dass dies noch ein langer beschwerlicher Weg ist, doch ich glaube fest daran, dass Jakob durch seinen starken Willen und seinem frohen Wesen uns noch sehr viele Überraschungen bereiten wird.

Jakobs kleine Entwicklungsschritte bereichern unser Leben

So schwer es auch am Anfang war, unser Leben mit einem behinderten Kind zu akzeptieren und zu organisieren, so sehr freue ich mich, dass gerade Jakob unser Sohn ist, mit dem wir die vielen kleinen Entwicklungsschritte mit Freude erleben können. Gerade diese so kleinen Schritte bereichern unser Leben und lenken das Augenmerk von materiellen Dingen wieder auf das Wesentliche im Leben.

Ich hoffe daher, dass Jakob sich weiterhin sein frohes Wesen erhalten kann und auf die Mitmenschen so offen zugehen kann. Ich hoffe, dass wir weiterhin immer wieder die richtigen Menschen treffen, die uns in der jeweiligen Situation die richtige Hilfe und Unterstützung geben können.

Irgendwo habe ich einmal den Leitsatz einer Mutter eines behinderten Kindes gelesen, der lautete: „Geht net, gibt's net!“ Der hat mich sehr berührt und mir in schwierigen Situationen immer wieder Mut gemacht.