Virtuelles Training für Menschen mit Demenz
Pilostudie startet im HerbstVirtuelles Training für Menschen mit Demenz
Wenn von VR-Brillen die Rede ist, denkt man zuallererst meist an Videospiele und die Gaming-Szene. Der Einsatz von Virtual Reality ist inzwischen auch für andere Bereiche interessant. Aktuell wird im Rahmen eines Cluster-Kooperationsprojekts des Medizintechnik-Clusters der oö. Standortagentur Business Upper Austria der Einsatz von VR-Brillen bei der Therapie von Menschen mit Demenz getestet. Regelmäßig gezeigte 3D-Videos – kombiniert mit entspannender Musik – sollen dabei helfen, die geistigen und auch körperlichen Fähigkeiten der an Demenz erkrankten Personen zu verbessern und möglichst lange zu erhalten.
Basierend auf den ermittelten Benutzeranforderungen entwickelte der Projektpartner LIFEtool ein umfassendes Bild- und Softwarekonzept, das nun in einer Pilotstudie ab Herbst 2021 mit rund 10 Teilnehmer*innen etwa 12 Wochen vom Projektkonsortium getestet und weiterentwickelt wird. Dabei werden die Patient*innen in Trainingseinheiten von 15 Minuten regelmäßig die Kombination aus Ergometer-Training und einer visuellen Realitätsdarstellung kennenlernen. Zur Abschätzung des möglichen Erfolgs wird das Ergometer-Training mit VR-Brille durch verschiedene Messmethoden wie z.B. der Herzratenvariabilitätsmessung, einer Gleichgewichtsmessung und kognitiven Tests ergänzt.
Große Herausforderung für die Gesellschaft
Die Pflege und Begleitung von Menschen mit Demenz stellen eine der größten gesellschaftlichen Herausforderungen der Zukunft dar. Aktuellen Schätzungen zufolge leben in Österreich 115.000 bis 130.000 Menschen mit irgendeiner Form der Demenz. Aufgrund des kontinuierlichen Altersanstiegs in der Bevölkerung wird sich diese Anzahl bis zum Jahr 2050 verdoppeln und der Betreuungs- und Pflegebedarf wird somit weiter steigen (österreichischer Demenzbericht 2014). Ähnliche Entwicklungen sind in Deutschland zu erwarten.
Im Laufe einer Demenzerkrankung lassen sowohl geistige als auch körperliche Leistungen nach und das Leben der Patient*innen wird zunehmend eingeschränkt. Demenz ist bisher nicht heilbar, sie kann aber behandelt werden. Therapeutische Möglichkeiten gibt es einige – neben Medikamenten können auch nicht-medikamentöse Therapieverfahren positiv auf den Krankheitsverlauf einwirken. Aktuell ist jedoch keine Studie bekannt, die die Konzepte Meditation, körperliches Training und Musik in Kombination untersucht.
Körper und Geist aktivieren
Im aktuellen Projekt „VR4Mind&Motion“ wird untersucht, ob durch den Einsatz von Virtual Reality Technologie besonders positive Effekte bei Menschen mit Demenzerkrankung erzielt werden können. „Dazu tragen die Patientinnen und Patienten beim Training am Liege-Ergometer eine VR-Brille. In virtuellen 360-Grad-Videos wandern sie durch Wald-, Strand- oder Wiesenlandschaften, trainieren dabei ihre Beweglichkeit und das Erinnerungsvermögen. Dies soll die Gedächtnisleistung der Menschen fördern sowie Körper und Geist aktivieren“, erklärt Projektleiter Mag. Robert Hartmann, Head of Digital Health bei der Netural GmbH. Das Training könnte den Gemütszustand verbessern und weniger Medikamente erforderlich machen. Auch Pflegekräfte und pflegende Angehörige sollen dadurch entlastet werden.
Bedürfnisse der Patient*innen im Fokus
Um das Wohlbefinden zu fördern, war von Beginn des Projektes an klar: Die zu entwickelnden VR-Anwendungen müssen den individuellen Bedürfnissen der Betroffenen entsprechen. Daher wurden in einem ersten Schritt in Zusammenarbeit mit der Volkshilfe alle Studienteilnehmer*innen in Hinblick auf die bekanntesten Formen von Demenz sowie deren Ausprägungen genau analysiert und möglichst bildhaft in sogenannten User Stories dargestellt. Das half den Projektpartnern, typische Anwendungsfälle zu skizzieren und alle wichtigen Anforderungen an die VR App zu erkennen. Zusätzlich wurden auch pflegende Angehörige und Pflegefachkräfte in die Studie miteinbezogen.
Spezifische Software
Basierend auf den ermittelten Benutzeranforderungen entwickelte der Projektpartner LIFEtool ein umfassendes Bild- und Softwarekonzept, das alle wesentlichen Funktionalitäten abdeckt. Dabei wurden:
- die Auswahl und Entwicklung adäquater Inhalte für VR Umgebungen festgelegt
- Hardware und Schnittstellen fixiert
- einstellbare Parameter und Optionen identifiziert.
Zur Erstellung des Interaktionsdesigns wurde ein Set an intuitiven, einfach bedienbaren und einheitlichen Wireframes erstellt, die unter laufender Einbindung von Anwender*innen und Expert*innen weiter verbessert werden. Die Ergebnisse dienen als Basis für die Softwareentwicklung aber auch für die grafische Designentwicklung.
Parallel dazu erhebt die Projektgruppe den derzeitigen Stand der Technik bzgl. VR Headsets und recherchiert auch schon bestehende Lösungen. Im Rahmen des Projekts wird voraussichtlich ein Standalone-Headset zum Einsatz kommen, das vergleichsweise günstig und nicht kabelgebunden ist, aber dennoch über eine hohe Videoauflösung und integrierte Lautsprecher verfügt. Zudem werden wissenschaftliche Erkenntnisse bzgl. des therapeutischen Einsatzes von Virtual Reality und speziell im Zusammenhang mit Demenz recherchiert, untersucht und dokumentiert. Die Idee dahinter: Die Projektgruppe soll Zugang zu den aktuellsten Erkenntnissen der Wissenschaft bekommen.
Pilotstudie startet im Herbst 2021
Die Pilotstudie soll nun im Herbst 2021 mit rund 10 TeilnehmerInnen starten und soll etwa 12 Wochen laufen. Dabei werden die Teilnehmer*innen in Trainingseinheiten von 15 Minuten regelmäßig die Kombination aus Liege-Ergometer-Training und einer visuellen Realitätsdarstellung kennenlernen. Zur Abschätzung des möglichen Erfolgs wird das Liege-Ergometer-Training mit VR-Brille durch verschiedene Messmethoden wie z.B. der Herzratenvariabilitätsmessung, einer Gleichgewichtsmessung und kognitiven Tests ergänzt. Um ihre Menschenwürde zu wahren, werden die Patient*innen während des gesamten Studienablaufs durch das Personal von Volkshilfe und R’n‘B Consulting achtsam begleitet. Nach Ablauf der 12 Testwochen werden die Daten anonym ausgewertet und aufbereitet. Entsprechende Wahrnehmungen und Rückmeldungen in Hinblick auf die individuelle Entwicklung der Teilnehmer*innen werden im Rahmen der Studie ebenfalls durch strukturierte Fragebögen erhoben. Die Pilotstudie wird bei der Ethikkommission eingereicht.
Gemeinschaftsprojekt
An dem Pilotprojekt – initiiert und begleitet vom Medizintechnik-Cluster der oö. Standortagentur Business Upper Austria und den Digitalisierungsspezialisten von Netural GmbH – beteiligen sich zusätzlich das Medizintechnik-Beratungsunternehmen R’n’B Consulting GmbH, die Volkshilfe Oberösterreich, die Filmproduktionsfirma amago GmbH und die LIFEtool gemeinnützige GmbH, die computerunterstützte Assistenzsysteme für Menschen mit Behinderung anbietet.
Die Projektpartner und ihre Rollen
Netural
Die Netural GmbH forscht und entwickelt intensiv im Bereich e-Health und medizinischer Technik und bedient damit eines der bedeutendsten gesellschaftlichen Felder der Gegenwart.
Ihre Schwerpunkte: Unterstützung in der nachhaltigen Änderung von Verhaltensweisen, Rehabilitationsunterstützung zu Hause, Virtual Reality in Medizin und Training, Digitales Gesundheitsmanagement, Entwicklung von Anwendungen für den Gesundheitssektor
R’n’B Consulting GmbH
Die Projektrolle der R’n’B Consulting GmbH liegt in der Unterstützung der klinischen Bewertung. Mit dem Fachwissen in spezifischen Bereichen wie Risikomanagement, klinische Bewertungen und Gebrauchstauglichkeit bringt R’n’B Consulting das nötige Wissen für die Pilotstudie in das Projekt ein.
Volkshilfe Gesundheits- und Soziale Dienste GmbH
Auf Grund langjähriger Erfahrungen in der Begleitung, Betreuung und Pflege von Menschen mit Demenz sowie der Teilnahme an diversen Forschungsprojekten in der Vergangenheit, stellt die Volkshilfe GSD GmbH diesem Projekt die Probanden und ihre umfassende Expertise zur Verfügung. Aufgabe der Volkshilfe ist es darauf zu achten, dass das Ergebnis Praxisrelevanz aufweist. Das Produkt soll zukünftig in den Tageszentren der Volkshilfe sowie in weiteren Betreuungseinrichtungen eingesetzt werden.
amago GmbH
amago verfügt über sämtliche Produktionstechnologien, technische Ausstattungen, Kameraequipment und Softwarelizenzen, um hochauflösenden professionellen Video und 360°-Video Content zu produzieren.
LIFEtool
LIFEtool entwickelte bereits mehr als 25 spezielle Lern- und Therapiesoftwareprogramme sowie technische Hilfen für Menschen mit Behinderung und Menschen im Alter, die mittlerweile in bis zu 14 Sprachen und 40 Ländern weltweit ihren Absatz finden. Im Projekt zeichnet LIFEtool vor allem die Benutzeranforderungserhebung und Sicherstellung der Usability verantwortlich.
Kontakt
Patricia Papic, Netural eHealth, patricia.papic@netural.com
Stefan Schürz, LIFEtool, Leitung Forschung & Entwicklung, stefan.schuerz@lifetool.at