Unterstützte Kommunikation für Menschen mit Rett-Syndrom

Foto: Isabella und der Step-by-Step

Das Rett-Syndrom ist eine genetisch verursachte Erkrankung mit der Folge von schweren Lernschwierigkeiten und körperlichen Behinderung, welche vor allem Mädchen betrifft. Erstmalig wurde sie 1966 von dem Wiener Kinderarzt Prof. Dr. Andreas Rett (†) beschrieben und ist daher nach ihm benannt.  

Alle betroffenen Kinder und Erwachsenen zeigen eine Übereinstimmung in ihrer klinischen Symptomatik, vor allem durch Handstereotypien und keiner aktiven Lautsprache.

Bei LIFEtool können wir vor allem bei folgenden Aspekten Hilfestellungen geben:

  • Elektronische Hilfsmittel zur Interaktion (für spielerische Ursache-Wirkungs-Erfahrungen)
  • nichttechnischen Kommunikationshilfsmitteln mit Symbolen und Fotos
  • technische Hilfsmittel wie iPad (bzw. Tablet-PCs)
  • einfache Sprachausgabegeräte (sprechende Taster)
  • Sprachausgabegeräte welche mithilfe von Kopf- oder Augensteuerung bedient werden
  • Finanzierung -  Hilfe bei Ansuchen für geeignete Hilfsmittel

Das Rett-Syndrom

Nach normaler Schwangerschaft sind zunächst keine besonderen Auffälligkeiten zu erkennen. Erst später werden bei den Betroffenen ein vermindertes Kopfwachstum, ein Verlust von erworbenen Fähigkeiten, eine massive Handlungsapraxie, das Auftreten von Handstereotypien sowie eine erhebliche Störung der Sprachentwicklung (d.h. keine - oder wieder verlernte - aktive Lautsprache) offenbar.

Da der Verlust der Lautsprache eines der wesentlichen Symptome des Rett Syndroms ist, muss das Augenmerk sehr stark auf die kommunikativen Fähigkeiten gelenkt werden. Aufgrund der Apraxie und der Handsterotypien bei Menschen mit Rett-Syndrom bleiben viele körpereigene Kommunikationsformen leider verschlossen, daher ist es wichtig, dass die Mittel der Unterstützen Kommunikation frühzeitig eingesetzt werden.

Elektronische Hilfsmittel zur Interaktion (für spielerische Ursache-Wirkungs-Erfahrungen)

Kinder mit Rett-Syndrom haben in vielen Entwicklungsbereichen entscheidende Einschränkungen, z.B. ist der Zusammenhang zwischen Ursache (ich mache etwas) und Wirkung (etwas Anderes passiert) nicht klar.

Der Einsatz von technischen Hilfsmitteln und das Adaptieren von elektronischem Spielzeug sowie elektronischen Geräten kann in der (Früh-)Förderung von Rett- Kindern eine wichtige Rolle spielen. Die Grundidee dabei ist, Spielzeug oder Haushaltsgeräte so zu adaptieren, dass selbst Kinder mit schwerer körperlicher Beeinträchtigung die Gelegenheit bekommen, beim Spielen in der Gemeinschaft und im Alltag eine aktivere Rolle zu übernehmen.

Dazu sind zwei Hilfsmittel hilfreich: Batterieunterbrecher und Powerlink.

Batterieunterbrecher

Abbildung: Batterieunterbrecher
Abbildung: Spielsachen mit Batterieunterbrecher adaptiert

Ein Batterieunterbrecher ist ein einfaches Hilfsmittel, um batteriebetriebenes Spielzeug auch für Menschen mit schweren körperlichen Beeinträchtigungen zugänglich zu machen.

Das Leiterplättchen wird im Batteriefach zwischen Batteriekontakt und Batterie geklemmt und das andere Ende des Kabels mit einem Taster verbunden. Solange der Taster gedrückt wird, kann der Strom fließen und das Spielzeug tritt in Funktion (Musik machen, grunzen, laufen, Schwanz-wackeln ... usw.). Wird der Taster nicht mehr gedrückt, fließt kein Strom mehr, dh das Spielzeug steht still. Dies ist eine ganz unmittelbare Ursache-Wirkungs-Erfahrung, die mit minimalem Einsatz allen Beteiligten richtig Spaß und Freude bringt.

Simplyworks CONTROL PRO

Abbildung: SimplyWorksControlPro

Ist es dem/der BenutzerIn nicht möglich, länger auf einen Taster zu drücken, kann der „Simplyworks CONTROL PRO“ dazwischen geschaltet werden.

Damit verändert sich die Funktionsweise: das Spielzeug wird nach dem Drücken auf den Taster für die eingestellte Anzahl von Minuten/Sekunden eingeschaltet. Nach Ablauf der gewählten Zeit schaltet sich das Gerät aus. Um das Spielzeug wieder zu aktivieren, muss der Taster wieder betätigt werden. Somit wird das Kind motiviert, die Taste nochmal zur betätigen und damit die Ursache-Wirkungs-Abfolge gefestigt.

Mögliche Geräte für Batterieunterbrecher:
Batteriebetriebene Spielzeugtiere (die sich bewegen und Geräusche machen), batteriebetriebener Handventilator, batteriebetriebenes Blaulicht, batteriebetriebene Seifenblasenmaschine, …
Die Möglichkeiten der Anwendung sind vielfältig. Am besten funktionieren diese Spielsachen, die nur mit einem Ein-Ausschalter bedient werden! In unseren UK-Tipps finden Sie auch noch weitere kreative Ideen zu Batterieunterbrechern.

PowerLink

Foto: Küchenmaschine mit PowerLink 3
Foto: PowerLink 4

Das PowerLink-Gerät funktioniert nach dem gleichen Prinzip, nur für Netzstrom-betriebene Geräte; es können damit zwei Geräte bedient werden. Verbinden Sie den PowerLink mit der Steckdose und stecken an den Powerlink eine Lampe an. Nun schalten Sie die Lampe an (es passiert noch nichts) und verbinden Sie einen Taster mit dem PowerLink. Erst wenn der Taster gedrückt wird, kann der Strom fließen und die Lampe leuchtet. 

Auch hier gibt es u.a. die Einstellungen „direkt“ oder „Timer“ wie beim Batterieunterbrecher.

 

Mögliche Geräte für den PowerLink:
Lampen, Lichtschlangen, Blubbersäulen, Fußssprudelbad, Ventilator, Küchenmaschine (für Shakes, Kuchenteig, …), Seifenblasenmaschine, Radio, Haarfön (z.B. zum Ausblasen der Geburtstagskerzen), …

Die Möglichkeiten der Anwendung sind vielfältig. In unseren UK-Tipps finden Sie auch noch weitere kreative Ideen, was alles (und warum J) mithilfe eines PowerLinks betätigt werden kann.

Spielen und lernen durch Würfeln mit dem All-Turn-it-Spinner

Foto: AllTurnItSpinner
Foto: Vorlage für AllTurnItSpinner
Foto: Vorlage für AllTurnItSpinner
 

Der „All-turn-it-Spinner“ eignet sich hervorragend, um das Prinzip Ursache-Wirkung zu verstehen und bietet durch den kreativen Einsatz vielseitige Möglichkeiten zur Partizipation, dh eine aktive Teilnahme an verschiedensten Aktivitäten und Spielen. Das Tollste daran: es gibt kein Richtig oder Falsch – es ist einfach ein „gemeinsames-Spaß-haben“!
Nach Aktivierung mit einem Taster trifft das Gerät eine Auswahl nach dem Zufallsprinzip (z.B. die Würfelzahl für ein Brettspiel). Werden beide Auswahlringe verwendet, ist es auch möglich, mit nur einem Tastendruck zwei Auswahlen gleichzeitig zu treffen (z.B. Zahlwürfel und Farbwürfel). In unseren UK-Tipps finden Sie weitere Ideen zum Einsatz dieses Hilfsmittels. 

Nicht-technische Kommunikationshilfsmitteln mit Symbolen und Fotos

Foto: Tagebuch
Foto: ICH-Buch

Das Tagebuch/Mitteilungsbuch
Mithilfe eines solchen Buches mit Symbolen können Menschen mit Rett-Syndrom persönliche Erlebnisse für den kommunikativen Austausch verfügbar machen, z.B. in Form von Symbolen/Fotos. 

Das ICH-Buch
Ein ICH-Buch ist eine Beschreibung der individuellen Merkmale und Besonderheiten, also alle Informationen über die betreffende Person. Vor allem für nichtsprechende Menschen bietet das ICH-Buch eine wichtige Informationsquelle für Bezugspersonen, sollte aber vor allem viele Kommunikationsanlässe mit der/dem Betroffenen bieten.
Mehr dazu finden Sie in unseren UK-Tipps zu den Themen "ICH-Buch"/"ICH-Buch am Papier und digital" und "Tagebuch".

Tagesplan/Wochenplan

Foto: TimeTable Wochenplaner

In der Kombination von Bildern mit Tätigkeiten werden Symbole zuerst einzeln kennen gelernt. In weiterer Folge ist es dann möglich, Tagespläne oder auch Wochenpläne zu erstellen, die über Symbole oder/und Fotos zeitliche Orientierung geben. Hier kann z.B. der LIFEtool TimeTable© eine gute Hilfestellung bieten.

Der TimeTable ist ein variabler Wochenplaner mit Magnetschildersystem (ähnlich einem Stundenplan). Er erleichtert die zeitliche Orientierung am Tag und in der Woche. In die Magnetschilder können Symboler (PCS, Metacom, ... usw) oder eigene Fotos eingesteckt und je nach Bedarf auch immer wieder gewechselt werden. 

Ablaufplan

Abbildung: Ablaufplan Freitag

Etwas kleinschrittiger ist diese Möglichkeit, einen einfachen Ablaufplan mithilfe von Symbolen/Fotos selbst zu gestalten. Hier wird das Beispiel der Hippotherapie am Vormittag gezeigt.

Foto: Isabella mit der Auswahltafel Lieder

Kommunikationstafeln, -bücher, -schürzen oder einzelne Bild- oder Wortkarten u.v.m.

Menschen mit Rett-Syndrom stehen oftmals vor der großen Herausforderung, dass eine direkte Auswahl der Bildsymbole durch die Hand nicht bzw. nicht immer möglich erscheint. Durchsichtige (laminierte) Blicktafeln, bei denen das Gegenüber erkennen kann, auf welches Bild/Symbol der Blick zeigt, haben hier in der Praxis schon viele wertvolle Dienste geleistet.

Sogenannte Blicktafeln können eine gute Hilfe sein, nur mithilfe des Blickes aus verschiedensten Auswahlmöglichkeiten das Passende zu finden. 

Technische Hilfsmittel wie Computer & iPad (bzw. Tablet-PCs)

Foto: KlickTool Literacy mit Taster

Lernen & spielen am Windows-PC
Dank Spezialsoftware für Windows-Rechner, die meist auch mit Taster oder Augensteuerung bedienbar sind, ist auch Rett-KlientInnen das Spielen und Lernen am Computer möglich.

Mit den ersten Spielen erkennen sie dadurch Ursache-Wirkung, später können auch Lerninhalte am Computer vermittelt werden.  So bietet sich auch für Rett-Kinder die Möglichkeit, Spaß am Computer zu haben, Lernerfahrungen zu machen, zu zeigen was sie können und somit neue Lernangebote zu bekommen!

Für die Verwendung von Tastern am PC benötigt man einen Adapter z.B. die KeySwich-Box-USB, diese wird via USB-Stecker mit dem PC verbunden, an der Box können dann Taster angeschlossen werden. Damit können passende Lernprogramme z.B. LIFEtool-Software bedient werden.

KlickTool Literacy AAC

Abbildung: Software KlickTool Literacy

Diese Software ist eine Art „multimediales Bilderbuch“, dh durch Drücken des Tasters wird die Geschichte erzählt und weitergeblättert. Ca. 70 Bücher werden mitgeliefert und eigene Bücher können mithilfe von eigenen Bildern/Texten/Tönen gestaltet werden.
Durch die Einbindung von persönlichen Videos, Videos von Handlungsabläufen oder ein kurzes Stück des Lieblingsfilmes in die selbst erstellten Bücher wird das Ansehen zum multimedialen Erlebnis!
Anmerkung: KlickTool Literacy AAC ist auch Augensteuerungs-tauglich!

ChoiceTrainer AAC

Abbildung: ChoiceTrainer AAC

ChoiceTrainer AAC dient zum Lernen und Üben mit Hilfe von Multiple-Choice-Aufgaben in Bild, Text und Ton. Bei jeder Übung wird oben die Anweisung angezeigt (ev. die passende Audioaufnahme dazu abgespielt) und aus den (1-6 möglichen) Antwortkärtchen muss dann die richtige Antwort ausgewählt werden.
Das Programm enthält über 100 fertige Übungen zum Thema „Jahreskreis“. Mithilfe des einfach zu bedienenden Editors ist es möglich, rasch eigene Übungen mit individuellen Materialien (Bilder, Text oder Ton) angepasst ans jeweilige Lern- oder Interessengebiet zu erstellen.
Anmerkung: ChoiceTrainer AAC ist auch Augensteuerungstauglich!

Lernen & spielen am iPad

Foto: Isabella am iPad

Auch mit einfachen Apps am iPad kann das Prinzip Ursache-Wirkung geübt werden.
Hier seien nur beispielhaft folgende Apps genannt:

  • TouchMe Hokus-Pokus (tasterbedienbar)
  • TouchMe Puzzle Klick PRO (individualisierbar mit persönlichen Bildern/Videos, tasterbedienbar)
  • BigBang Pictures/Patterns (tasterbedienbar)
  • SoundTouch (Tiere, Musikinstrumente, Fahrzeuge, …)
  • VideoTouch (Tiere, Musikinstrumente, Fahrzeuge, …)

 

Ein wichtiger Tipp beim Einsatz des iPads ist die Verwendung des „Geführten Zugriffes“, dieser wird im LIFEtool App-Tipp „Hilfreiche Einstellungen“ ausführlich erklärt. Wie das iPad mithilfe eines Tasters bedient werden kann, ist im App-Tipp „Verwendung von Tastern am iPad“ erklärt.

Einfache Sprachausgabegeräte - sprechende Taster

Abbildung: Gespräch mit Step-by-Step

Ein sogenannter sprechender Taster gibt beim Auslösen eine abgespeicherte Sprachmitteilung oder ein Geräusch wieder. Die Mitteilung kann jederzeit neu aufgenommen und der Situation angepasst werden. Wird ein Step-by-Step-Taster verwendet, können auch mehrere Mitteilungen hintereinander wiedergeben werden, so dass z.B. eine kleine Geschichte oder ein Dialog entstehen werden kann.

Einfache Sprachausgabegeräte - sprechende Taster

Einsatzideen für sprechende Taster können sein:

  • als „Pendelmedium" (um daheim zu erzählen, was in Kindergarten/Schule erlebt wurde)
  • zur Verwendung bei Interaktionsspielen („alle springen/alle singen/alle klatschen", ...)
  • für gemeinsames Lesen (siehe UK-Tipp „Mit dem BigMack lesen")
  • zum gemeinsamen Singen (siehe UK-Tipp „Mit dem BigMack singen")
  • Kommandos zu vergeben z.B. dem Therapiehund (siehe Foto)
  • um in Form von Plauderplänen zu erzählen (siehe UK-Tipp „Plauderpläne")
Foto: Julia und der Step-by-Step mit dem Therapiehund

Sprachausgabegeräte, welche mithilfe Augensteuerung oder Kopfsteuerung bedient werden

Foto: Sophie mit der Augensteuerung
Foto: Tobii Augensteuerung I-13-I-16

Augensteuerung (Eyetracking) ist eine Technologie, die genutzt wird, um zu sehen, wohin eine Person auf dem Bildschirm blickt. Die Technologie kann auch eingesetzt werden, um den Computer zu bedienen. Anstatt Maus oder Tastatur können die Augen verwendet werden.
Für Rett-KlientInnen ist es eine großartige Möglichkeit, um durch Blick auf ein Bild am Bildschirm eine Sprachdatei auszulösen, sodass Kommunikation möglich wird.

Augensteuerung ist ein recht unkomplizierter Vorgang.

  • Der Eyetracker sendet infrarotnahes Licht aus.
  • Das Licht wird von den Augen reflektiert.
  • Diese Reflektionen werden vom Eyetracker erfasst.
  • Durch Filterung und Berechnung weiß der Eyetracker, wo Sie hinschauen.

Wann ist der richtige Zeitpunkt für den Einsatz einer Augensteuerung?

Für den Einsatz von Augensteuerung gibt es keine Altersgrenze (weder nach oben noch nach unten), noch eine Fähigkeitsbegrenzung - ganz einfach: wenn das Kind mit Rett-Syndrom verfolgbare Augen hat, dann kann der Lernprozess der Nutzung der Augensteuerung beginnen.

„Wenn wir warten bis ein typisches Baby „bereit" ist zu sprechen, um mit uns zu kommunizieren, wann wäre der richtige Zeitpunkt? Therapeuten, Eltern und PädagogInnen stellen immer wieder folgendes fest: Wenn die Kinder das Gerät aktivieren können und sich absichtlich an der Kommunikation beteiligen, sind sie bereit zu lernen, wie man mit dem Gerät kommuniziert.

Augensteuerung verändert für viele Menschen mit Rett-Syndrom das Leben: es gibt ihnen unabhängigen Zugang zur Sprache und bietet auch eine Plattform zum Erlernen der Kommunikation.

Sollte die Augensteuerung nicht passend sein, besteht auch die Möglichkeit, eine Kopfsteuerung zu versuchen. 

Foto: Isabella und der MightyMo 2009
Foto: Isabella und der tobii 2015

Alles in allem haben die verschiedenen Möglichkeiten der Unterstützten Kommunikation den Blick auf die Persönlichkeit und die Entwicklungsmöglichkeiten der lange Zeit als „schwer geistig behindert“ bezeichneten Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen mit Lernbeeinträchtigung deutlich verändert. Diese zeigen heute Leistungen, die vor noch nicht allzu langer Zeit als unmöglich erachtet wurden.

Doch bei allen Erfolgen sei auch dazu gesagt, von allen technische Möglichkeiten profitieren die Betroffenen vor allem dann, wenn sie in Verbindung mit einer fordernden pädagogischen Unterstützung im Alltag daheim und der Einrichtung (von Kindergarten über Schule und Tagesbetreuung) eingesetzt werden.

So entsteht für Menschen mit Rett-Syndrom eine großartige Möglichkeit zur Weiterentwicklung!